Was mit Medien

KW 25/2022: Vladimir Nabokov: Lolita, Argo, Oldboy und der Partyschreck

Ist das Kunst oder kann das weg? Diese berühmte Frage war in den letzten Tagen mal wieder aktueller denn je. Der Spruch: Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt endet schließlich irgendwo und zwar genau hier im Artikel 5 des Grundgesetzes: Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung. Kunst ist also keine Frage des guten Geschmackes, sondern endet dort, wo Gesetze gebrochen werden.

Aber was kann Kunst? Kunst kann helfen, einen anderen Blickwinkel auf etwas zu bekommen. Kunst kann Leuten eine Stimme geben, die sonst nicht gehört werden. In Kunst kann man sich verlieren und verfangen. Kunst kann zelebrieren und huldigen, Kunst kann provozieren und anprangern. Kunst muss man aushalten können, Kunst muss einen auffangen können.

Im medialen Wochenrückblick geht es dieses Mal teils um recht kontroverse Kunst. Es geht um eine einseitige, pädophile Liebesbeziehung, um brutale Selbstjustiz und um einen als Inder geschminkten Briten. Alles ziemlich huiuiui heute.„Bilder der Woche“ würde dieses Mal besser passen, denn: Sie sind angekommen. Sechs handverlesene Prominente in schwarz-weiß, die jetzt auf 20x20cm großen Leinwänden die Wand neben meiner Küche zieren. Der Druck stammt von meinfoto.de und hat pro Bild nur 5 Euro gekostet. Und wenn man die sechs Motive halbwegs symmetrisch anbringt, dann sieht das ganze so aus:

Vorbemerkung eins: Ich verknüpfe ja gerne das Werk mit der Nationalität des Autors. Vladimir Nabokov wurde 1899 in Sankt Petersburg geboren und ist damit unzweifelhaft ein gebürtiger Russe. Allerdings floh er mit 18 vor der Oktoberrevolution nach Berlin, danach lebte er in Frankreich und schließlich in den USA. Sein berühmtestes Werk Lolita erschien 1955, als er bereits im stolzen Alter von 56 Jahren war. Und er schrieb es in Englisch (und ich las es auf Deutsch), nicht auf russisch. Um die Sache nicht zu kompliziert zu machen, schreibe ich den Autor aber trotzdem seinem Geburtsland zu, weil ich es immer so mache.

Vorbemerkung zwei: Wenn das Buch mehr als 700 Seiten umfasst, davon aber 160 Seiten auf den Anhang entfallen, scheint es doch einigen Klärungsbedarf zu geben. Nicht unschuldig daran ist vielleicht auch eine Verfilmung von Stanley Kubrick, welche wohl einge Kernstücke des Romans umgedeutet hat. Gesehen habe ich diese Verfilmung (und auch die zweite) bisher noch nicht, beide sind auf Streamingdiensten nur schwer zu bekommen.

Vorbemerkung drei: Das war Roman Nummer 5 in diesem Jahr. Ein Blick in den Kalender verrät: Damit liege ich voll im Plan für meine bescheidene „10 Romane pro Jahr“-Challenge.

Vladimir Nabokov – Lolita (Russland, 1955) – 8 von 10

Klappentext: Der vielumstrittene, längst zu Weltruhm gelangte und zweifach verfilmte Roman einer tragischen Passion: Ein Vierzigjähriger verfällt dem grazilen Zauber einer kindlichen Nymphe und erfährt die Liebe als absolute Macht über Leben und Tod.

Review mit Spoilern: Das Buch wurde schon bei seinem Erscheinen zu einem großen Skandal gepusht. Ein erwachsener Mann mittleren Alters ist von jungen Mädchen sexuell besessen und brennt mit der 12jährigen Lolita als ihr Stiefvater durch. Und dann wird die skandalöse Geschichte auch noch aus den Augen des Mannes, des Täters, beschrieben! Der Erzähler Humbert Humbert macht uns damit ein Stück weit zu seinem Komplizen – ein Trick, den viele Jahrzehnte später der brutale Serienmörder Dexter ebenfalls anwenden wird.

Humbert Humbert entpuppt sich dabei als ein gebildeter Mann. Ein belesener Europäer, der etwas mitleidig auf die Amerikaner herunter schaut. Er weiß um seine Leidenschaft und hat sich zu ihrer Rechtfertigung ein ganzes theoretisches Gebilde rund um die Nymphetten, wie er diese jungen Mädchen nennt, zurecht gelegt. Und als sich das Schicksal ihm auf einmal die Gelegenheit bietet, nutzt er sie eiskalt aus. Es ist der Gegensatz zwischen Humberts harmlosen Erzählungen und dem Abgrund, der immer mal wieder durchblitzt, der den Reiz dieses Buches ausmacht. Immer wieder mischt sich zwischen den Beschreibungen der trostlosen Orte, durch die sie auf ihrer Flucht fahren, plötzlich seine Erkenntnis wieder ein, was er da eigentlich treibt und die Angst davor, erwischt zu werden. Er entwickelt schließlich eine regelrechte Paranoia deswegen. Und der Leser entwickelt eine Art mitfühlendes Verständnis für seine krankhafte Obsession.

Dolores Haze, die der Erzähler Lolita nennt, ist ein normales Mädchen der 1950er. Das Aufreizende, was man heutzutage mit dem Schlagwort Lolita verbindet, spiegelt sich in ihr nicht wieder. Sie ist unbedarft und aufmüpfig, jedoch nicht bewusst aufreizend oder gar eine junge Femme Fatale, sie wird erst durch die Augen Humberts so sexualisiert. Dessen Avancen steht sie zunächst unwissend, später hilflos gegenüber. Als ihre Mutter stirbt und sie nur noch ihn als ihren Stiefvater hat, der mit ihr ziellos durch das Land fährt, fügt sie sich mangels Alternativen seine sexuellen Avancen. Sie streitet mit ihm, versucht sich ihre Freiheiten zu erkämpfen – ihre Flucht liegt aber für Humbert immer bedrohlich in der Luft. Als sie schließlich von ihm loskommt, meint es das Schicksal weiterhin nicht gut zu ihr, ihre verlorene Kindheit wirkt in ihre Teenager-Jahre nach.

Neben der Beziehung der Beiden steht im Roman die amerikanische Gesellschaft der 1950er im Fokus. Zunächst im ersten Teil die örtlichen Strukturen, wenn Humbert auf Lolita und deren Mutter trifft und schließlich dort einziehen darf und so das Gefüge des Ortes kennen lernt. In der zweiten Hälfte, auf ihrer Flucht, führt es sie durch das ganze Hinterland der USA mit seinen staubigen Pisten und dreckigen Motels, vorbei an Sehenswürdig- und Trostlosigkeiten. An diesen Stellen hätte ich mir etwas mehr Fokus von Nabokov auf die Beziehung der Beiden gewünscht, so ziehen sich die teils endlosen Beschreibungen ihrer Flucht doch sehr. Auch wenn es natürlich noch einmal zeigt, dass der Erzähler Humbert etwas mehr im Kopf hat als nur seine Lolita.

Fazit: Roadtrip in Abgründe und ein echter Klassiker mit allerdings auch manchen Längen.

Es gibt keine neuen Serienstaffeln in dieser Woche zu besprechen. Deshalb nutze ich den Platz für ein kurzes Halbjahresfazit – davon ausgehend, dass ich in den nächsten Tagen noch die zweite Staffel von Battlestar Galactica fertig bekomme.

Auf insgesamt 38 Serienstaffeln komme ich im ersten Halbjahr (ungefähr gleich verteilt auf neue Serien und Fortsetzungen), im letzten Jahr waren es zum gleichen Zeitpunkt bereits 45, aber da hatten wir auch den härteren Lockdown. Hinter den Staffeln stehen 324 Episoden (im Vorjahr: 406, ein Rückgang um ca. 20%) – damit ging auch die durchschnittliche Staffellänge von 9,0 auf 8,5 zurück. Ohne Superstore und Battlestar Galactica wäre der Wert noch geringer.

„Dank“ des Wechsels zunächst des Sky-Receivers (mit Festplatte) und dann, als Folge des Umzugs, der Wechsel meiner Key-Karte (womit wieder eine Aufnahmen wegfielen) streame ich mittlerweile 2/3 der Serien, der Rest wurde aufgenommen (oder ganz exotisch: Wegen der indiskutablen Distribution von Star Trek: Discovery live geschaut).

21 der Staffeln gehörten zu US-Produktionen, weitere 7 stammten aus Deutschland. Der Rest verstreute sich über die Welt. Eigentlich hatte ich mir mal vorgenommen, mich in diesem Jahr mehr an lateinamerikanische Produktionen zu wagen. Dazu gekommen bin ich jedoch nicht, näher als mit Narcos: Mexico kam ich geographisch bisher noch nicht ran.

Meine Highlights im ersten Halbjahr waren Euer Ehren und die neuste Staffel von Succession. Dahinter folgt eine ganze Reihe an Produktionen, denen ich 8 Punkte gegeben hatte.

Der Partyschreck (USA, 1968, HR) – 8 von 10

Peters Sellers bringt als indischer Partyschreck eine feine Abendgesellschaft völlig durcheinander. Regiesseur und Autor Blake Edwards ließ ihn in dieser Slapstick-Komödie dazu ziemlich freie Hand, vieles wurde einfach am Set improvisiert. Herausgekommen ist ein immer noch sehr lustiger und alberner Film, der schließlich mit einer Schaumparty und einem Elefanten ziemlich eskaliert. Allerdings wirkt aus heutiger Sicht der als Inder geschminkte Sellers in der Rolle etwas fragwürdig – inhaltlich gibt es schließlich kaum einen Grund, warum er für die Rolle ein Inder zu sein hatte. Gleichzeitig prangert er aber in dieser Rolle auch kulturelle Aneignung an, ein gewisses Feingefühl war also eigentlich schon vorhanden.

Oldboy (Südkorea, 2003, Sky Store) – 8 von 10

Zunächst möchte ich erwähnen, dass ich bereits das US-Remake mit Josh Brolin vorher kannte und mir dieses auch ganz gut gefiel. Allerdings hieß es immer, der wäre ja kein guter Vergleich mit dem Original von Park Chan-wook. Nun: Ganz so schlimm ist der Unterschied nicht, aber die südkoreanische Variante ist tatsächlich noch einen Tick besser, weil roher. Allerdings kannte ich den Twist natürlich schon vorher und konnte mich dadurch nicht mehr so erwischen wie in der zuerst gesehenen US-Version. Hier ist Choi Min-sik der entführte Unbekannte, der nach 15 Jahren plötzlich überraschend frei gelassen wird und sich dann als Selbstjustiziar auf die Suche nach seinen Kidnappern macht. Spannend, brutal und – wie schon angedeutet – voller Wendungen ist diese Tour de Force. Und je mehr man erfährt, um so faszinierender wird der Film.

Argo (USA, 2012, Sky Cinema) – 8 von 10

Als Argo veröffentlicht wurde, konnte der Film, der die Flucht amerikanischer Diplomaten aus dem Iran mit Hilfe von fingierten Dreharbeiten, einige Preise gewinnen – so erhielt er den Oscar als besten Film und wurde bei mir als bester Kinofilm des Jahres ausgezeichnet. Über welchen der beiden Preise sich Regisseur Ben Affleck mehr gefreut hat, das ist nicht bekannt. Seit dem Kinobesuch habe ich den Film nicht mehr gesehen, bis ich jetzt, 10 Jahre später, etwas Unterhaltung für eine längere Bügelsession brauchte. Und was soll ich sagen: Er funktioniert immer noch gut.

So, nach den ganzen kontroversen Themen heute, wird der Kehraus (ha, achtet gleich auf den letzten Punkt!) nun etwas versöhnlicher.

  • Krieg und Frieden – Fazit und Besprechung: Miss Booleana hat tapfer durchgehalten und am Ende das Mammutwerk bezwungen. Alleine das verdient schon Respekt und Bewunderung. Hier gibt sie ihr Fazit zu diesem Klassiker ab. (Zum Vergleich dazu auch noch einmal mein Fazit).
  • Mädelstrip reloaded feat. Amsterdam: Alle, die mittlerweile zu Hause etwas unruhig werden und die das Fernweh packt, die kommen bei Mirlis Reisebericht (bzw. dem Start davon) voll auf ihre Kosten. Amsterdam ist einfach schön und besonders.
  • Swiffer: Seit neustem wird bei mir geswiffert und nach dem ersten Test scheint das eine prima Investition für meinen Boden gewesen zu sein. Währenddessen staubt mein Staubsauger in der Ecke weiter vor sich hin und weint sich nachts leise in den Schlaf.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und habt einen guten Start in die neue Woche!

8 Kommentare

  • S.Mirli

    Als Erstes natürlich ein riesengroßes Dankeschön für die Erwähnung und ich fürchte fast, ich muss mir jetzt meinen eigenen Beitrag durchlesen, weil ich schon wieder Fernweh und Reiselust habe 😉 Ich muss ja sagen, teasern kannst du, denn wenn man in der Einleitung „pädophile Liebesbeziehung, brutale Selbstjustiz und ein als Inder geschminkten Brite“ liest, wie soll man da nicht weiterlesen. Ich wünsche dir eine grandiose Sommerwoche, alles Liebe, x S.Mirli
    oh, bevor ich´s vergesse, die Bilderwand schaut richtig genial aus.
    https://www.mirlime.at

    • Nummer Neun

      Ein sicheres Zeichen, dass du auch bis zum Schluß gelesen hast 😀 Aber ich hoffe auf eine schnelle Fortsetzung der Amsterdam Erlebnisse!

      Und danke 🙂 das Teasern kenne ich aus dem TV-Geschäft zur Genüge 😉

  • Christine

    Argo mochte ich wirklich gerne! Obwohl ich wusste wie die Story ausgehen würde, war der einfach spannend inszeniert und ich saß gefesselt vor dem Fernseher!
    Oldboy dagegen war schwierig für mich… irgendwie hatte ich wohl zu große Erwartungen an den Film und er hat mich nicht so richtig gepackt…

  • Miss Booleana

    Ui spannend. Ich schleiche auch immer um „Lolita“ herum … vielleicht traue ich mich bald mal. Deine etwas ausführlichere Kritk hat mich jedenfalls sehr neugierig gemacht.
    Die Bilder in deiner Küche finde ich klasse!
    Und vielen Dank für die Verlinkung 🙂

    • Nummer Neun

      „Lolita“ ist auf jeden Fall schneller zu lesen als „Krieg und Frieden“ 😉 Bemerkenswert war für mich, wie weit das Buch doch von der allgemeinen Ahnung des Storyverlaufs ist. Würde deshalb gerne mal den (ersten) Film sehen, nur ist der bei den Streamingdiensten schwer zu bekommen.

  • Sunny

    Da muss ich doch auch bei Dir vorbei gucken. Bin jetzt bei diesem etwas älteren Beitrag gelandet, weil mir „der Partyschreck“ ins Auge gestochen ist. Definitiv seit Jahrzehnten einer meiner Lieblingsfilme. Auch wenn ich ihn als Kind/Teenie mit ganz anderen Augen geschehen habe und besonders vom Hippie-Elefanten und dem vielen Schaum begeistert war, der sich dort in der Villa verbreitete.
    Aber auch serienmäßig gibt es bei uns wohl einige Überschneidungen.
    Ich glaube, hier komme ich öfter vorbeilesen.
    BG Sunny

    • Nummer Neun

      Herzlich Willkommen auf meiner kleinen Seite 🙂 Ich kannte „Der Partyschreck“ vorher gar nicht, hatte aber mal irgendwo ein paar Sketche daraus gesehen. Hat sich gelohnt, den Film dann auch im gesamten zu sehen! Und der Elefant ist schon großartig.

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