KW 36/2024: Was vom Tage übrig blieb, Wishy und Rentierbaby
Happy Sunday!
Langsam kommt der Herbst. So ehrlich muss man sein, denn es lässt sich nicht leugnen, wie der Blick auf den Kalender verrät. Und auch der Wetterbericht macht da keine falschen Hoffnungen. Mit dem heutigen Tag ist in München das sonnige Wetter vorbei, in den nächsten Tagen gibt es einen Temperatursturz und der Himmel öffnet seine Schleusen. Und darüber, wie früh es mittlerweile abends schon wieder dunkel wird, darüber wollen wir gar nicht erst reden.
Reden wir lieber über den medialen Rücklblick. Was es in dieser Woche alles gab, das lest ihr nun:
In dieser Woche besuchte ich erstmals den Lucky Punch Comedy Club im alten Münchener Gasteig. Dort finden allabendlich Stand-Up Comedy-Shows statt, in denen meist so fünf oder sechs Comedians auftreten. Ungefähr 15 Minuten pro Auftritt sind eingeplant, so dass die Show mit Pause knappt unter zwei Stunden dauert. Als Gast weiß man vorher nie genau, wer an diesem Abend dabei sein wird, aber der Preis von 15€ lässt einem diese Ungewissheit verschmerzen. Viel teurer als ein Kinobesuch ist es also nicht. So war es ein lustiger Abend in entspannter Atmospähre, dass nicht jeder Comedian dabei für einen selbst zündet, ist dem Konzept geschuldet, wird aber durch den günstigen Preis wieder ausgeglichen. Solche kleinen Verantstaltungen sollte man viel öfter besuchen!
Mit Alles, was wir geben mussten hat der in England aufgewachsene Autor Kazuo Ishiguro einen meiner Lieblingsromane verfasst. Es wurde mein Roman des Jahres 2019, Ishiguro erhielt 2017 den Nobelpreis der Literatur – welche der beiden Auszeichnungen ihm wichtiger ist, wurde bis heute noch nicht abschließend geklärt. Als vor einigen Monaten Miss Booleana über seinen zweiten weltbekannten Roman schrieb, machte der Bericht mir neue Lust auf sein Werk. Und nun, schon ein knappes halbes Jahr später, kann ich es ebenfalls besprechen:
Kazuo Ishiguro – Was vom Tage übrig blieb (UK, 1989) – 9 von 10
Klappentext: Stevens dient als Butler in Darlington Hall. Er sorgt für einen tadellosen Haushalt und ist die Verschwiegenheit in Person: Niemals würde er auch nur ein Wort über die merkwürdigen Vorgänge im Herrenhaus verlieren. Er stellt sein Leben voll und ganz in den Dienst seines Herrn. Auch die vorsichtigen Annäherungsversuche von Miss Kenton, der Haushälterin, weist er brüsk zurück. Viele Jahre lang lebt er ergeben in seiner Welt, bis ihn eines Tages die Vergangenheit einholt. Das kritische Portrait einer von Klasse und Hierarchien geprägten Gesellschaft und eine bittersüße Liebesgeschichte, erzählt von einem, der seinen Stand nie hinterfragt und der nie auch nur geahnt hat, dass er liebte.
Review: Welches Thema wäre britischer als dieses hier? Ein altehrwürdiger Butler begibt sich auf eine Reise und denkt dabei über sein Leben und seine Karriere nach und ob er sich beidem als würdig erwiesen hat. Er nimmt uns tief in seine Gedankenwelt mit und siniert über seine Anforderungen an sich selbst. Sein Dienstherr, dem er über Jahrzehnte gedient hatte, ist weg, einem Amerikaner gehört nun das Anwesen, zu welchem er mittlerweile sprichwörtlich zum Inventar gehört. Seine Erinnerungen an seinen früheren Dienstherr teilt Stevens, der Ich-Erzähler, nicht linear, sondern dann, wann immer sie ihm einfallen.
Aber mit fortschreitender Erzählung wird immer klarer, es war nicht alles so, wie er es sich jahrelang eingeredet hat. Diese Selbsttäuschung ist ihm vermutlich gar nicht bewusst, sie wird dem Lesenden jedoch immer klarer. Durch seine Auslassungen, durch seine Prioritätensetzung in der Erzählung, wie er in der Gegenwart auf seiner Reise auf seine Umwelt reagiert. Vielleicht war sein alter Dienstherr gar nicht so ehrenwert, wie er es sich immer eingeredet hatte, sondern hing zu sehr den Idealen des Faschismus nach. Vielleicht war er zu sehr in seiner Rolle als großer Butler gefangen und hat dadurch seine sozialen Beziehungen vernachlässigt. Hat er in seinem Leben etwas verpasst, die falschen Entscheidungen getroffen, nur um seinen eigenen Ansprüchen (und die seinen Vaters) gerecht zu werden? Erst gegen Ende wird ihm bewusst, dass ein gemeinsames Leben mit Miss Kenton, die ehemalige Haushältern des Anwesen, möglich gewesen wäre.
Der Aufbau und die Erzählweise von Ishiguro sind äußerst geschickt gewählt. Sie lassen mitfühlen mit dem armen Butler Stevens, der auf sein Leben zurück blickt und immer noch versucht, sich sein Verhalten und die Geschehnisse gut zu reden. Man fliegt durch die Seiten und liest mit einigem Vergnügen dessen Ausführungen zum Berufsbild des Butler, zugegebenermaßen wenn man sich denn dafür erwärmen kann, sich seitenlang seinen Ausführungen zum Erstellen richtiger Dienstpläne zu widmen. Ich fand es spannend und passend nerdig, beschreibt es doch seine Liebe zu seinem Beruf sehr gut. Ishiguro lässt ihn wie einen prototypsichen englischen Butler sprechen, den wir alle wie ein Klischee im Kopf haben. Aber wie eine Zwiebel trägt er dabei Schicht für Schicht von dessen würdevoller Fassade ab, ohne ihn der Lächerlichkeit preiszugeben. Und am Ende steht das Schicksal eines verschenkten Lebens, der die falschen Prioritäten gesetzt und den falschen Leuten vertraut hat, und der sich nun mit dem Gedanken anfreunden muss, zumindest jetzt das noch zu genießen, was vom Tage übrig bleibt.
Fazit: Unterhaltsame Dekonstruktion eines britischen Mythos, das bei weitem nicht so verkopft daherkommt, wie es die Beschreibung vielleicht vermuten lässt.
Rentierbaby (Staffel 1, 7 Folgen, UK, Netflix) – 5 von 10
Der (talentfreie) Comedian Donny Dunn (Richard Gadd) schlägt sich mit Nebenjobs durch sein Leben. Dabei lernt er in einer Bar Martha (Jessica Gunning) kennen, die er ab diesem Moment nicht mehr los wird. Die auf den eigenen Erfahrungen Gadds beruhende Serie dreht dabei kontinuierlich an der Eskalationsspirale. Und wenn man sich nach zwei Folgen fragt, was da noch kommen soll, wie die Stalkerin Martha ihn denn noch belästigen könnte: Da kommt noch eine ganze Menge. Chronistenhaft wird die Bedrohung für ihn nachgezeichnet, Nachrichtenverläufe eingeblendet und seine Hilflosigkeit deutlicher. Die Serie ist groß darin, die Ereignisse nachzuerzählen, gibt sich allerdings keine Mühe damit, sie zu erklären. Von der ersten Einstellung an wird Martha als die unsympathische und sozial verkümmere Person gezeigt, die sie wohl ist – aber warum sie so geworden ist, daran zeigt die Serie kein Interesse. Es ist von Beginn an ein finger pointing auf eine offenbar psychisch kranke Frau, eine einseitige Darstellung der Ereignisse, ohne überhaupt irgendeine Form der Rechtfertigung zu liefern. Kein Vergleich zur ausgewogenen Herangehensweise von Beef (8/10), in der die beiden Hauptfiguren fair dabei gezeigt wurden, wie sich deren Konflikt immer weiter hoch schaukelte. Aber das hier in Rentierbaby ist mir zu einfach. Und als dann auch noch in der Serie gezeigt wird, wie Donny von diesem Fall (und einem zweiten Fall des sexuellen Missbrauchs, den ich an dieser Stelle aber nicht spoilern möchte, aber die seine Figur nur noch tragischer macht) als er publik wird, kommerziell profitiert – so wie Gadd, der ja diese Serie aus den reelen Hintergründen entwickelt hat, aber hier schauspielerisch an seine Grenzen stößt – war mir das dann endgültig zu viel. Die insgesamt meist guten Kritiken kann ich nicht nachvollziehen.
Wishy sind eine frische Band aus Indianapolis, Indiana. Kann man ruhig mal sagen, denn ganz so frisch klingt ihre Musik eigentlich gar nicht. Irgendwo zwischen College-Rock und Shoegaze schrammeln sie so vor sich hin – aber mit qualitativ gutem Output. Ihr Debutalbum Triple Seven ist im August erschienen und hat einige flott-verträumte Nummern zu bieten. Sick Sweet ist der Eröffnungssong des Albums und ich mag’s.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und habt einen guten Start in die neue Woche!
5 Kommentare
Stepnwolf
Jopp, den Lucky Punch Comedy Club kann man empfehlen. War ich auch schon. 🙂
Nummer Neun
Also es war mein erster Besuch dort, aber bestimmt nicht der letzte 🙂
Stepnwolf
War bisher auch nur einmal da. Wird aber sicher nochmal passieren. 🙂
Miss Booleana
Das freut mich, dass dir „Was vom Tage …“ so gut gefallen hat. Es ist auch neben „Alles, was wir …“ einer meiner zwei liebsten Ishiguros geworden von 3,5 die ich kenne. Tolles Buch. Hattest du inzwischen die Gelegenheit die Verfilmung zu schauen? Vielleicht hat die örtliche Bibliothek ja auch eine Disc oder Onleihe (Filmfriend?), falls du dir nicht gleich eine Disc-Onleihe Subscription machen willst.
Das war ja damals eine Leserunde und das Buch wurde durchaus sehr zwiegespalten aufgenommen. Mein Eindruck war, dass sich viele an Stevens aufgerieben haben und recht viel darüber beschwerten, dass er eben diese unzuverlässige Erzähler ist, statt die langsame Realisierung von ihm als letztendlich tragischer Figur anzunehmen. Da macht es doch Spaß zu sehen, dass andere Lesende ähnlich berührt waren.
Vielen Dank auch für die Verlinkung.
Tja dieser Hype um Rentierbaby … ich habe die Serie nicht geschaut, weil ich an dem Thema mit Sicherheit keine Freude haben würde. Auch ist mir etwas sauer aufgestoßen wie bald die echte Stalkerin an die Medien ging. Steht dann so früh Aussage gegen Aussage, dann klingt das für mich nicht mehr nach der Art Medien, mit denen ich mich freiwillig in meiner Freizeit auseinandersetzen will. Aber schwups – hat gerade Preise gewonnen. Hätte ich nicht erwartet, auch ohne die Serie gesehen zu haben.
Nummer Neun
Für mich machte besonders der unzuverlässige Erzähler und dieses sich selbst belügen einen großen Teil der Geschichte aus.