European Championships Munich 2022: Back to the Roofs
Mitte August entstand in und um München ein gar nicht mal so kleiner Hype rund um die European Championships. Darunter versteht man eine noch eine relativ neue Bündelung von Europameisterschaften aus verschiedenen Randsportarten an einem zentralen Ort. Nach Glasgow und Berlin 2018 hatte nun München die Ehre, diese Veranstaltungen auszutragen. Und es wurde ein voller Erfolg. Innerhalb kürzester Zeit wurde die Veranstaltung zum Stadtgespräch, erstaunlich viele sahen sich die Sport-Events live vor Ort an, darunter viele, die sich sonst eher wenig Sport anschauen.
Das Konzept, auf die bestehende Infrastruktur im Olympiapark und an der Regattastrecke zu setzen, ging auf. Dazu wurden an einigen Hotspots, wie dem Königsplatz und der Messe, temporäre Veranstaltungsorte errichtet. Straßenradrennen und Marathon-Wettbewerbe führten quer durch die Stadt. Flankiert wurde der Sport durch ein breites, kulturelles Angebot im Olympiapark, das kostenlos angeboten wurde. Und damit nicht genug, wie schon damals zur WM 2006, schien auch dieses Mal über weite Strecken die Sonne.
Ich war bei zwei der Europameisterschaften dabei, beide Sportarten hatte ich vorher noch nie live gesehen.
UEC-Bahn-Europameisterschaften 2022
Für diese Weltmeisterschaft wurde in der Messestadt Riem (die, wie ich nun wieder festgestellt habe, doch verdammt weit draußen ist) eine temporäre Radarena mit Platz für 1.700 Zuschauern errichtet. Bei den Olympischen Spielen finde ich die Bilder aus den Hallen immer sehr eindrucksvoll, deshalb wollte ich die seltene Gelegenheit nutzen, mir das auch mal vor Ort anzuschauen. Zum Glück hatte ich das weitsichtig genug geplant, die Tickets waren nämlich relativ schnell weg.
Während ich mich für das Bild oben gegen Ende der Veranstaltung noch ans Kopfende geschlichen hatte, waren meine eigentlichen Plätze ziemlich in der Mitte der Start- und Zielgeraden. Was im Vorfeld ganz gut klang, hatte dann aber leider den Nachteil, dass ich aufgrund der neben mir liegenden und leicht erhöhten VIP-Tribüne einen toten Winkel auf der Bahn hatte, den ich nur unter Mühen einsehen konnte. Ärgerlich, aber das hätte ich vorher auch nicht wissen können. In die andere Richtung war der Blick dafür wirklich gut.
Das Programm dauert ungefähr drei Stunden und die waren ordentlich durchgetaktet, so dass alle paar Minuten ein neues Rennen startete. Spannend war auch der Blick, den man quasi hinter die Kulissen erhalten konnte, ist doch die Besonderheiten der Bahnrad-Anlagen, dass sich im Inneren der Bahn die Teams und die Betreuer vor aller Augen vorbereiteten, während um sie herum die Action abgeht.
Die meisten der Rennen, die ich an diesem Abend sah, waren die Sprintrennen. Dabei treten jeweil zwei Fahrer oder Fahrerinnen gegeneinander an. Drei Runden, wer früher im Ziel ist gewinnt. Bei den Damen standen die Vorläufe und Viertelfinals an, bei den Herren die Halbfinals und das Finale, bei denen jeweils Best of 3 galt. Spannend und kurzweilig, wenn auch auf Dauer etwas wenig abwechslungsreich. Aber diese explosive Leistung so hautnah zu sehen ist schon eindrucksvoll. Bei den Männern holte sich der Franzose Sébastian Vigier am Ende die Goldmedaille.
Außerdem fand an diesem Abend die Entscheidung im Punktefahren der Frauen an, einem Wettbewerb, den ich – ehrlich gesagt – nicht ganz verstanden hatte. Es war ein Langstreckenwettbewerb, bei dem die Damen insgesamt 125 Runden (!) fahren mussten. Am Ende gewann die Belgierin Lotte Kopecky souverän. Bei der anschließenden Siegerehrung war mit Kristina Vogel die vielleicht bekannteste Bahnradfahrerin des Landes dabei.
Höhepunkt des Abends war aus meiner Sicht das Ausscheidungsfahren der Männer. Dabei startet ein größeres Feld gemeinsam auf der Bahn. Alle zwei Runden fliegt der letzte aus dem Wettbewerb und wer am Ende übrig bleibt, der hat gewonnen. Damit gibt es eine klare Spannungskurve und am Schluß stand die Halle wirklich Kopf. Der Italiener Elia Viviani konnte sich am Ende gegen den Deutschen Theo Reinhardt durchsetzen.
Bahnradfahren? Kann ich nur empfehlen, sich das mal einen Abend lang anzuschauen. Angenehmes Publikum, (meist) selbst erklärende Regeln und eine Menge Tempo.
Das Kulturprogramm
Vom Kulturprogramm im Olympiapark habe ich leider nicht viel mitbekommen. Ich hätte gerne den Auftritt von Wanda gesehen, leider ließ sich der aber nicht mit dem Besuch der Messe Riem kombinieren, die Wege waren zu weit. So nutzte ich dann mein zweites Sportevent, um vorher noch an der Bühne im Olympiasee vorbeizuschauen. Dumm nur, dass ich genau den Abend erwischte hatte, an dem sich der komplette Himmel über München entladen würde.
Als ich aus der U-Bahn am Olympiapark ausstieg, herrschte draußen sintflutartige Regen. Ich konnte mich noch in die nahe gelegene BMW-Welt retten, hier war etwas mehr Platz als an der U-Bahn-Station, und wartete auf ein Zeichen des Himmels. Ich trug an diesem Abend das erste Mal seit Wochen wieder eine Jacke, sogar mit Kapuze, und hatte auch noch einen Plastik-Regenponcho dabei, ein Überbleibsel aus alten Festival-Zeiten. Den zog ich über und erntete an diesem Abend einige erstaunte Blicke wegen des Jack Daniels Schriftzugs.
Als es nach einer halben Stunde etwas besser wurde, wagte ich mich wieder raus und balancierte über die teilweise überschwemmten Wege in Richtung der Olympiahallen und des Sees. Noch rechtzeitig, denn durch das Unwetter hatte sich auch der Start des Konzertes verschoben. Das Konzert der legendären… Münchener Freiheit! Ja, die gibt es noch, wenn auch nicht mehr mit dem Original-Sänger von früher.
Eine undankbare Aufgabe, bei dem immer noch vorhandenen Nieselregen für etwas Stimmung zu sorgen. Aber genug Schaulustige hatten sich trotzdem eingefunden. Und ich war selbst überrascht, dass ich doch mehr Songs kannte, als ich erwartet hatte – das waren bestimmt fünf oder sechs Lieder, die tief in meinem Gehirn verborgen gewesen waren. Das regelmäßiges Schauen der ZDF Hitparade in den 1980ern machte sich nun doch bezahlt. Ich verweise gerne noch einmal auf ihren Auftritt bei Rock auf der Couch V mit Ohne Dich. Dafür jetzt mit So lang‘ man Träume noch leben kann der Song, der es bis in den offiziellen Jingle der Veranstaltung geschafft hat.
Nach ihrem Auftritt besorgte ich mir noch etwas zum Futtern (Burger, logo!) und schaute dann später noch mal kurz für einige der Siegerehrungen von Wettbewerben des Vortags am Olympiasee vorbei. Hier im Bild die Gewinner von Diskuswurf Männer.
Es wurde langsam Zeit, ich musste rüber ins Olympiastadion zur Leichtathletik. Zum Glück ließ der Regen langsam nach.
Leichtathletik-Europameisterschaften 2022
Das ehrwürdige Olympiastadion macht immer noch etwas her. Diese Dachkonstruktion ist einmalig und ein echter Blickfang, der ungestörte Blick durch das Stadion wirkt sehr befreiend und die Wege vom Eingang zum Platz sind kurz. Natürlich ist es kein Vergleich mit den modernen Fußball-Arenen, dafür ist man etwas zu weit weg von der Grünfläche, die Hälfte des Stadions ist nicht überdacht und generell fehlt etwas der Komfort. Aber es hat trotzdem seinen ganz eigenen Charme. Für mich war es nach dem Springsteen Konzert 2009 (und demnächst 2023!) erst die zweite Veranstaltung in diesem Stadion. Und generell mein erstes Leichtathletik-Event seit den Bundesjugendspielen 19irgendwas.
Im Gegensatz zum Bahnrad passierte hier nicht alles fein säuberlich nacheinander, sondern mehrere Disziplinen fanden parallel statt. Ich hatte beste Plätze um den faszinierenden Stabhochsprung der Männer zu verfolgen, den der schwedische Überflieger Armand Duplantis souverän mit einer Höhe von 6,06m gewann, vor dem deutschen Bo Kanda Lita Baehre, dessen Sprung über 5,85m eines der stimmungsvollen Highlights des Abends war. Der Sperrwurf der Frauen auf der anderen Seite des Stadions, den die Griechin Elina Tzengko gewann, ging aufgrund der Entfernung dafür ziemlich an mir vorbei.
Die Laufbahn einzusehen war nicht so leicht – die Plätze, um einen guten Blick auf die Ziellinie zu bekommen wären nochmal deutlich teurer (aber dafür auch überdacht) gewesen. So war ich hier eher auf die Leinwände angewiesen und blickte deshalb immer wieder von der Gegengeraden auf die Monitore und zurück. Die erste Laufentscheidung waren die 800 Meter der Frauen, welche die Britin Keely Hodgkinson gewann. Spannender zum Ansehen waren die 3000 Meter Hindernis der Frauen, die am Schluß des Abends folgten. Die Abstände waren größer, so dass es auch auf die Entfernung leichter zu verfolgen war, und die Silbermedaille für Lea Meyer war ein weiterer Höhepunkt. Als sie zum Spurt ansetzte und ihre Konkurrentin um Platz 2 hinter sich ließ stand das Stadion Kopf. Gold ging an Luiza Gega aus Albanien.
Spannend waren auch die beiden 4x400m Staffeln, die an diesem Abend ebenfalls ihre Finalläufe hatten. Bei den Männern gewann die Staffel der Briten relativ knapp vor den Belgiern, als Laie hätte ich da mit einer deutlicheren Entscheidung gerechnet. Bei den Damen setzten sich die Niederländerinnen souverän durch, während der Kampf um Platz 2 in einem Fotofinish an die Polinnen ging.
Und so hatte sich der regnerische Nachmittag doch noch in einen schönen und trockenen Abend verwandelt. Die Rückfahrt aus dem Olympiapark funktionierte danach problemlos, so dass ich wirklich recht schnell zurück am Hauptbahnhof war und dort in die S-Bahn wechseln konnte, ohne dabei den Horden von Helene Fischer Fans in die Arme zu laufen, deren Konzert an diesem Abend die Konkurrenzveranstaltung war. Draußen, in der Messestadt Riem.
Olympische Spiele in Deutschland?
Im Nachgang zu den gelungenen European Championships kam desöfteren die Frage auf, ob das deutsche IOC sich noch einmal für eine Austragung der Olympischen Spiele bewerben sollte. Die letzten Anläufe waren ja jeweils gescheitert, weil die Bevölkerung eine Bewerbung abgelehnt hatte.
Darüber kann man mit Sicherheit diskutieren, allerdings müssen die Erwartungen dann andere sein. Das, was die European Championships ausgezeichnet hatte, war ja besonders das Nahbare. Die Events waren mitten in der Stadt und zum Anfassen. Wer wollte, sollte im Normalfall keine Probleme damit gehabt haben, Eintrittskarten zu bekommen. Und dazu der sportliche Erfolg der deutschen Athleten auf europäischer Ebene. Die Olympischen Spiele wären dagegen um ein vielfaches größer und kommerzieller. Die Stadt wäre ähnlich überfüllt wie zu Oktoberfest-Zeiten, dazu würde das IOC die Kontrolle über die Stadt übernehmen. Dieses Mal wurden nur bestehende Sportstätten benutzt bzw. temporäre errichtet. Man hat es sich sogar geleistet, die Anforderungen der Schwimm-EM bewußt nicht zu erfüllen, so dass diese zeitgleich in Rom ausgetragen wurde. So nachhaltig wären die großen Spiele mit Sicherheit nicht, wenn der IOC nicht langsam vernünftiger wird.
Ob es für München oder eine andere Stadt/Region in Deutschland ein lohnenswertes Ziel wäre, Olympische Spiele (Sommer oder Winter) auszutragen, das hängt deshalb in erster Linie vom IOC ab. Die nächsten Spiele finden 2024 in Paris statt, vielleicht werden die zeigen, wie man dieses Mega-Event in den heutigen Zeiten auch ohne Gigantismus durchführen kann. Es folgen Los Angeles 2028 und Brisbane 2032. Die nächsten noch nicht vergebenen Sommerspiele finden also erst 2036 statt und damit 100 Jahre nach den Nazi-Spielen in Berlin. Ob das ein gutes Datum für Spiele in Deutschland sein könnte, das sei mal dahin gestellt.
2 Kommentare
Christine
Oh ja, immer wenn in Riem ein Konzert ist, denke ich mir auch: eigentlich ganz schön weit außerhalb. 😉
Durch meinen Urlaub habe ich den Hype um die European Championships ja irgendwie verpasst, aber ich war ganz erstaunt wie groß die Begeisterung dafür war!
Nummer Neun
Urlaub ist natürlich auch was schönes 🙂 Aber die Stimmung in der Stimmung bei den European Championships war tatsächlich ganz angenehm. Vermutlich ganz anders als beim nächsten Großevent, dass bereits in den Startlöchern steht. Weswegen ich teilweise Wiesn-Flucht begehen werde.