Der richtige Ton,  Was mit Medien

KW 04/2022: Die Wannseekonferenz, Sløborn, Doherty & Lo und No Activity

Stammstreckensperrung.

Allein das Wort löst in und um München schon Wut und Verzweiflung aus. Die Stammstrecke bezeichnet den S-Bahn Strang zwischen München-Pasing und dem Ostbahnhof, den mehr oder weniger alle S-Bahn Linien befahren. Sie ist vielleicht das wichtigste Rückgrat des öffentlichen Nahverkehrs in München und für die Anbindung an die Region.

Wenn die Stammstrecke wegen Bauarbeiten (oder Stellwerks-Störungen, oder Notarzt-Einsätzen, oder, oder, oder) gesperrt ist, ist der Nahverkehr kurz vor dem Kollaps. Die Fahrt ins Zentrum wird mit den Alternativen zum Abenteuer oder zwingt den Fahrgast zur Entschleunigung. Dieses und nächstes Wochenende ist die Stammstrecke mal wieder komplett gesperrt. Nichts geht mehr von Freitagabend bis Montagmorgen. Solange ich nur zum Hauptbahnhof muss (und da in die U-Bahn umsteigen), geht es noch, da gibt es Alternativen. Die anderen Ziele in der Innenstadt rücken jedoch in weite Ferne.

Aber genug davon, hier ist der mediale Wochenrückblick:

No Activity (Staffel 1, 8 Folgen, USA, Joyn Plus) – 6 von 10

Die beiden Polizisten Nick (Patrick Brammall) und Judd (Tim Meadows) observieren Lagerräume, weil dort eine neue Drogenlieferung aus Mexiko erwartet wird. Auf genau diese warten die beiden Gangster Angus (Jesse Plemons) und Marco (Jason Mantzoukas) auch. Moralische Unterstützung erhalten die beiden Polizisten von Janice (Amy Sedaris) und Fatima (Sunita Mani) aus ihrer Leitstelle, denen sie regelmäßig melden, dass es keine Aktivitäten gibt.

Wer schaut nicht gerne die Tarantino-Filme, weil die wahren und sinnlosen Dialoge der Protagonisten so toll sind? Diese Serie funktioniert im Prinzip auch so: Es gibt vier Figurenpärchen, welche die ereignislose Wartezeit mit sinnlosen Gesprächen füllen. Nun hat die CBS zwar keinen neuen Tarantino gefunden, trotzdem hat man durchaus Spaß mit dieser kleinen Serie. Die Gespräche sind tatsächlich ganz lustig und werden von den skurillen Figuren und manchen merkwürdigen Nebenfiguren getragen. Und wem das bekannt vorkommt: Das deutsche KBV, welches ich mir Anfang des Jahres angeschaut hatte, war ein Remake – genau wie diese US-Version. Das Original stammt aus Australien. Die FAZ bescheinigte KBV ja eine „ungesunde deutsche Unterleibsfixierung“, diese Version entkräftigt den Vorwurf allerdings etwas, hier ist es nämlich ähnlich. No Activity ist um zwei Folgen länger als KBV und hat dafür noch eine vierte Konstellation abbekommen: Die beiden Mexikaner Miguel (Arturo Castro) und Roberto (Adrian Martinez), die einen Tunnel in Richtung USA graben. Nun hätte in der deutschen Version ein Tunnel in Richtung Hamburger Hafen wenig Sinn ergeben, weswegen dieser Handlungsstrang einfach gestrichen wurde, man hat aber auch nicht viel verpasst. Davon abgesehen war ich jedoch sehr überrascht, wie ähnlich sich die beiden Versionen in der Handlung sind, ich hätte mehr Abwechslung erwartet (als Beispiel: Die Espresso-Maschine in der deutschen Variante ist hier eine Popcorn-Maschine). Die beiden zusätzlichen Folgen tun der Staffel allerdings nicht unbedingt gut, in der Mitte ist so doch einiges an Leerlauf.

Sløborn (Staffel 2, 6 Folgen, Deutschland, ZDFneo) – 8 von 10

Fast die ganze Insel ist verlassen, nur noch eine Jugendliche und eine handvoll Erwachsener sind auf Sløborn nach der Ausbruch der Taubengrippe zurück geblieben. Während Evelin (Emily Kusche) sich Sorgen um ihre Schwangerschaft macht, muss Sozialarbeiterin Freja (Karla Nina Diedrich) überlegen, wie sie ihre Zöglinge aus dem Jugendknast beisammen hält. Die Versorgung wird nach einem Stromausfall auf der ganzen Insel immer schwieriger.

Während die erste Staffel noch den Ausbruch der Taubengrippe zeigte, beschäftigt sich die zweite Staffel nun mit den letzten Hinterbliebenen auf der verlassenen Nordseeinsel. Womit sich auch der Ton der Serie von einer Art Outbreak zu einem Young Adult Drama in einer postapokalyptischen Welt wandelt, weil fast nur noch Jugendliche auf der Insel zurück geblieben sind, wenn man mal vom Autor Wagner (Alexander Scheer), dem Dealer Jan (Mads Hjumland) und der Sozialarbeiterin Freys absieht. Getragen wird die Staffel aber von den Jungschauspielern wie Emily Kusche, Aaron Hilmer und Lea van Acken. Auch die zweite Staffel ist spannend inszeniert (besonders in den letzten beiden Folgen zieht das Tempo noch einmal an) und sieht recht hochwertig aus. Zwar hat das Buch ein paar Schwächen (so ist es mir ein Rätsel, wie die drei relevanten Gruppen wochenlang auf dieser Insel sein können, ohne teilweise von der Existenz der anderen wissen zu können), und auch der Konflikt um Freja und ihre Gruppe finde ich etwas platt und wenig glaubwürdig. Aber solange der Rest passt, kann man darüber hinweg sehen. Ein Konzept für Staffel 3 und Staffel 4 gibt es wohl schon.

Von alt nach jung sortiert:

Mulholland Drive (USA, 2001, Arte) – 8 von 10

David Lynchs Mysteryfilm um unerfüllte und gescheiterte Träume in Hollywood braucht ein wenig, bis er in die Gänge kommt. Scheint sie noch am Anfang die Geschichte einer jungen, aufstrebenden Schauspielerin zu sein (Naomi Watts in der Rolle, mit der sie ihren persönlichen Durchbruch schaffte), die eine schicksalshafte Begegnung hat, ändert sich das im Laufe des Films. Meine letzte Sichtung war schon viele Jahre her, so dass ich kaum noch Vorkenntnisse hatte. Einerseits definitv ein Vorteil, wenn man ihn noch einmal neu entdecken kann, aber andererseits wäre es auch einmal spannend darauf zu achten, welche Hinweise Lynch schon zu Beginn so versteckt hat. Ein fazinierender Film, aber nicht so verstörend wie Lost Highway.

Die Wannseekonferenz (Deutschland, 2022, ZDF) – 9 von 10

Solche Workshops kennen wir doch alle. Die Firma hat außerhalb des Büros einen Meeting-Raum gebucht, um mal abseits des Tagesgeschäftes größere Themen zu besprechen. Vor dem Meeting machen alle die Smartphones aus, damit man die ganze Zeit im Tunnel bleibt. Und dann geht es los. Jede Abteilung versucht sich gut darzustellen und bei den anderen Verständnis für die eigenen Probleme zu schaffen. Es gibt die Leute, die dem Leiter des Meetings nach dem Mund reden und es gibt diejenigen, die immer die Bedenkenträger geben. Und was als offener Workshop deklariert war, entpuppt sich am Ende als eine Strategie, die mehr oder weniger vorher schon fest stand. Auf der Wannseekonferenz lief es ähnlich. Nur wurden hier keine Marketing-Kampagnen für eine neue Fluglinie beschlossen oder die strategische Ausrichtung der Firma verändert. Hier wurde von den Nazis 1942 die systematische Ermordung der Juden in Europa beschlossen und geplant und ungeachtet von moralischen Bedenken geht es hier nur um die Logisitik dahinter und das Seelenheil der durchführenden dieser gewünschten Endlösung. Philipp Hochmair glänzt als Projektleiter Heydrich, Johannes Allmayer gibt den fleißigen Adjutanten Eichmann. Godehard Giese spielt den Juristen Dr. Stuckart, der zunächst vermeintlich humaner zu sein scheint, aber eigentlich doch nur seine eigene Arbeit verteidigen möchte. Und wenn man schon glaubt, es würde widerwärtiger nicht mehr gehen, wird im informellen Teil der Konferenz fast beiläufig bei ein paar Häppchen von der Entwicklung eines neuen Gases berichtet, welches das Morden noch effizienter machen könnte, ohne diesen seelisch belastenden Kontakt zwischen Täter und Opfer. Es ist ein in seiner fast dokumentarischen Schlichtheit ein sehr verstörender Film. Ohne auflockernde Nebenhandlungen, ohne einen emotionalisierenden Soundtrack, der einem die Gefühlslage einordnet, ist man mit den bürokratischen Diskussionen ganz allein ausgeliefert. Beängstigend.

Wer hätte gedacht, dass man im Jahr 2022 immer noch über Peter Doherty reden kann? Aber tatsächlich geht es ihm gut, er lebt mittlerweile in Frankreich und sieht deutlich wohlgenährter aus als früher. Und nebenbei veröffentlicht er immer noch neue Musik. Dafür hat er sich nun mit dem Franzosen Frédéric Lo zusammengetan. Ein neues Album wird im März erscheinen und beide Vorabsongs sind unglaublich toll, leicht und beschwingt, aber gleichzeitig auch etwas melancholisch. The Fantasy Life Of Poetry & Crime ist dafür ein tolles Beispiel.

Das war’s für diese Woche. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und habt einen guten Start in die neue Woche!

4 Kommentare

  • Nicole

    Stammstreckensperrung, ja bei dem Worrt würde ich auch die Krise bekommen. Fühle mit dir, hoffe du bist da gut von A nach B gekommen und es war nicht ganz so stressig :/.

    Die Wannseekonferenz habe ich mir auch angeschaut und fand den Film schockierend. Ich hätte es aber eine Mischung aus Doku und Film besser gefunden, also tatsächlich noch mit Einordnung des Gesagten und Ausführung einiger Begriffe, besser gefunden. Die Dokumentation dazu kann ich deshalb wärmstens empfehlen, auch wenn die ebenso heftig ist.

    Danke für deine Rückmeldung zu Niemalswelt.
    Dann sind wir da aber einer Meinung, weil die Vergötterung von Jim fand ich auch grenzwertig und unangebrecht :/. Over-the-top und dramatisch ist das Buch definitiv, aber gerade deshalb wäre das glaube ich eine gute Teenie-Verfilmung :D. Das Konzept ist in meinen Augen nach wie vor genial, auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass man uns auch etwas mehr an den Abstimmungen hätte teilhaben lassen. 2-3 Mal, vor allem die finale Abstimmung, hätte man schon mal einfließen lassen können, um zu sehen, wie sich das Verhalten da ändert und wieso.

    • Nummer Neun

      Danke fürs Mitfühlen 🙂 An den beiden Wochenende war ich tatsächlich am Ende nur einmal im Zentrum, daher ging es noch ganz gut.

      Die Doku zur Wannseekonferenz hatte ich mir nicht mehr angesehen, das war mir an dem Abend dann emotional zu viel. Ich fand die Trennung zwischen Doku und Film allerdings ganz gut – um im Film nicht aus dem Flow gerissen zu werden.

      Zu Niemalswelt schreibe ich dann im nächsten Wochenrückblick etwas 😉

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