Was mit Medien

Lew Tolstoi – Krieg und Frieden (Band II, 1868)

Es ist geschafft! Das Mammutwerk Krieg und Frieden ist bezwungen, nieder gerungen. Hat es sich gelohnt, war es die ganzen Mühen wert? Nun, zumindest war es ein besonderes Erlebnis.

Der zweite Band meiner Ausgabe umfasst das dritte und vierte Buch von Tolstois Werk, sowie den Epilog zum Ausklang.

Drittes Buch

Das dritte Buch ist historisch gesehen durchaus interessant. Es behandelt Napoleons Feldzug gegen Russland und seinen Marsch bis nach Moskau. Die Eckpfeiler der Geschichte sind demnach historisch verbürgt und sollten daher jeden erfreuen, der ein Mindestmaß an Geschichts-Interesse an dieser Epoche hat. Tolstoi wechselt in seiner Erzählung immer wieder von der russischen auf die französische Perspektive, schreibt teilweise auch – und das fand ich etwas irritierend – wie ein Historiker, der die Ereignisse im Nachhinein bewertet und einordnet. Wenn er dann dabei von „unseren Truppen“ berichtet, bin ich wegen der parteinehmenden Haltung jedes Mal etwas aufgeschreckt.

Durch den großen historischen Bogen kommen die bekannten Figuren jedoch leider etwas kürzer als gewohnt. Wobei Pierres Besuch bei den Truppen eines der nachhaltigeren Ereignisse dieses Buches ist. Das muss man nämlich auch noch mal unterstreichen: Abseits der historischen Genauigkeit ist das Buch meist dann am Besten, wenn es in eine klassische Romanhandlung fällt. Hier wirkt Tolstois Text sehr modern (wahrscheinlich dank der neuen Übersetzung) und lässt sich gut weglesen, keine Spur von eingestaubter Sprache. Die Figuren sind lebendig und zeitlos. Dieser Aspekt hat die Jahrhunderte also spurlos überstanden.

Viertes Buch

Rollten die Truppen im dritten Teil noch von Europa nach Moskau, verfolgen wir nun den umgekehrten Weg. Napoleons Frankreich zieht sich zurück, bis zur Grenze begleidet von Russlands Truppen unter der Führung von General Kutusow. Fing Tolstoi bereits im dritten Buch an, die historischen Ereignisse selbst zu werten, steigert er dieses noch einmal im letzten Buch. Besonders an der geschichtlich nicht grade unbedeutenden Figur Napoleon arbeitet er sich sehr ab, wobei er das nicht einmal einer fiktiven Figur in den Mund legt, sondern dies als Autor selbst tut. Im Gegenzug wird Kutusow sehr in den Himmel gelobt – ob beides zu Recht geschieht, kann ich mangels geschichtlichem Hintergrundwissens schlecht beurteilen, etwas besonderes ist diese wertende Haltung aber auf jeden Fall. Auch den Geschichtswissenschaftlern gibt er ordentlich einen mit und liest ihnen in einigen Essays die Leviten.

Diese theoretischen Ausschweifungen sind eingebettet in die Roman-Handlung des vierten Buches, welche sich stark auf die Auswirkungen des Krieges konzentriert. Die ganze russische Gesellschaft ist in Bewegung gekommen und nichts ist mehr so wie es noch wenige Jahre zuvor gewesen ist. Am interessantesten sind dabei Pierres Erlebnisse in der Kriegesgefangschaft, sowie die Verfolgung von Napoleons Truppen durch Kutusow. Hier blieb mir besonders die Episode mit dem jungen Petja im Kopf, der sich recht naiv einer Mission zum Auskundschaften der Franzosen anschloss.

Epilog

Der Epilog schließlich erzählt uns etwas mehr über die weitere Geschichte von Pierre und Natascha, ist aber im wesentlichen eher ein Essay Tolstois über die Geschichtsschreibung des von ihm portraitierten Zeitabschnitts. Erneut lässt er hier kein gutes Haar an den Historikern und ihren scheinbaren Widersprüchen. Das ganze schaukelte sich hoch in eine Abhandlung über das Schicksal, den freien Willen und den vorbestimmten Platz in der Geschichte von historischen Persönlichkeiten. Ziemlich trockener Stoff zum Ende des Mammutwerkes, nach insgesamt gut 2000 Seiten fehlte mir hier die Geduld, mich darauf am Ende noch einmal einzulassen.

***

Und das war’s. Eines der bekanntesten und bedeutensten Werke der Menschheitsgeschichte ist ausgelesen. Der Begriff Historienschinken wurde wahrscheinlich genau hierfür erfunden. Mir gefiel Krieg und Frieden immer dann am Besten, wenn es sich wie ein klassischer Roman las und die Schwere der historischen Ereignisse abschütteln konnte. Die Erzählung wirkte modern und zeitlos und bot viele Figuren, die man gerne ein Stück in ihrem Leben begleitete. Größere Schwierigkeiten hatte ich dagegen mit dem im Verlauf immer mehr Platz einnehmenden Abhandlungen Tolstois, wenn er den Blickwinkel des Geschichtenerzählers verließ und zum Kommentator der Ereignisse wurde.

Das Fazit ist daher insgesamt etwas zweischneidig – trotzdem war es eindeutig ein Erlebnis.

Band 1 + Band 2

Was sagst du dazu? Aber denke dran, deine Mail- und IP-Adresse wird gespeichert und auch Gravatar liest mit. Ist das ok? Dann kommentiere

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.