Meine 15 Alben der 2010er Jahre für die Isolation
Zu Beginn der verganenen Dekade war die Fragestellung „was würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen“ noch durchaus gebräuchlich. Aus aktuellem Anlass habe ich sie leicht abgewandelt und mich für den Rückblick auf das letzte Jahrzehnt gefragt, welche Alben der 2010er Jahre würde ich mit in die Isolation nehmen? Wohl wissend, dass die moderne Technik diese Frage eigentlich überflüssig gemacht hat, lässt sie sich doch dank der verschiedenen Anbieter und der scheinbar grenzenlosen Speicherkapazitäten leicht beantworten mit: Alle. Aber was wenn nicht? Was, wenn der Platz doch nur begrenzt ist und man sich auf 15 Alben beschränken müsste?
Mit etwas zeitlichem Abstand bildet sich eine andere Qualität von Musik heraus. Was funktioniert immer noch, was wird auch nach dem hundersten Anhören nicht langweilig? Manche Songs knallen sofort, sind irgendwann aber nur noch schwer zu ertragen (ich meine dich, Jerk It Out), dagegen gewinnen eher die ruhigen und auf den ersten Blick vielleicht etwas unspektakulären Alben. Welche Alben leben nur von ihren Singles, welche sind insgesamt homogener und stimmiger? Die Zeit tut vor allem den letzteren gut.
Hier meine Top 15 Album der 2010er Jahre, chronolgisch sortiert:
The Gaslight Anthem – American Slang (2010)
The Gaslight Anthem hatten mit The ’59 Sound eines der besten Alben der 2000er aufgenommen, da hat es der Nachfolger natürlich nicht leicht. Und so war es am Anfang auch, etwas Enttäuschung machte sich breit, weil der Sound auf einmal nicht mehr so rumpelig klang und die Songs nicht sofort ins Herz trafen. Etwas zu unrecht, weil auch American Slang steckt voller Melodien, die andere Punkrock-Bands in hundert Jahren nicht liefern würden. Der Titeltrack American Slang gehört dazu, genau wie Stay Lucky und die Dreier-Kombi aus Boxer, Old Haunts und The Spirit Of Jazz im letzten Drittel. Auf der Zielgrade ist es also doch noch ein großes Album geworden.
Frank Turner – England Keep My Bones (2011)
Es gibt Künstler, die machen gute Alben und es gibt Künstler, die machen gute Songs. Der in diesem Blog hochgeschätzte Frank Turner gehört für mich allerdings eher zur letzteren Gruppe. Auf jedem Album starke Songs, aber eben auch oft etwas Leerlauf. Auf diesem Album war das jedoch anders, ich höre es immer wieder gerne von vorne bis hinten durch. Vielleicht fehlt dafür der Überhit, aber Songs wie If I Ever Stray, Wessex Boy, I Am Disappeared, Peggy Sang The Blues und I Still Believe machen jedes seiner Konzerte besser und bilden zusammen ein tolles Album.
The Vaccines – What Did You Expect From The Vaccines? (2011)
Die Power und die Ungestümheit des Debutalbums erreichen Bands danach selten wieder. So war es auch bei den Vaccines, deren erstes Album vor Punk- und Powerpop-Nummern nur so strotzt. Wreckin‘ Bar, If You Wanna und Norgaard lassen einen immer noch wild durch die Wohnung hüpfen, Wetsuit und All In White sind dagegen die langsamen Stücke, die einen wieder Luft holen lassen. Das Album voller unkaputtbarer Hits ließ Großes erwarten, besonders viel kam danach aber leider nicht mehr.
Young Rebel Set – Curse Our Love (2011)
Es war fast Liebe auf den ersten Blick. Als ich für ein paar Tage in Hamburg war, wollte ich an einem Abend auch mal das Molotow besuchen, damals das Hamburger Pendant zum Münchner Atomic. An diesem Abend spielte dort eine mir unbekannte englische Band, die mit sieben Leuten auf der kleinen Bühne standen und eine wahnsinnige Stimmung erzeugten. Sie klingen wie die rauhen Brüder von Mumford & Sons und hatten eine ganze Latte an tollen Songs dabei. Lion’s Mouth, If I Was, Walk On und Measure Of A Man waren die größten davon, die auch jetzt, knapp 10 Jahre später immer noch fantastisch sind.
Mumford & Sons – Babel (2012)
Das Album nach dem großen Mega-Erfolg ist ja meistens sehr schwierig. Wie wird man den hohen Erwartungen gerecht? Aber Mumford & Sons haben die Aufgabe souverän gemeistert und ihren Sound einfach noch konsequenter durch gezogen. Und tatsächlich mit I Will Wait einen Song abgeliefert, der es mit dem Überhit Little Lion Man problemlos aufnehmen konnte. Mit Whispers In The Dark, Lover Of The Light und Hopeless Wanderer gibt es sogar noch mehr Songs, die zeitlos geblieben sind. Leider haben sie danach etwas ihre Spur und ihren Sound verloren und damit ihre Einzigartigkeit aufgegeben.
The National – Trouble Will Finde Me (2013)
The National sind eine Band, die praktisch keine Ausfälle kennt. Haben sie je etwas schlechtes veröffentlicht? Eigentlich gibt es für sie nur verschiedene Abstufungen von gut – aber Trouble Will Find Me ist schon wirklich sehr gut. Das fängt beim Opener I Should Live In Salt an, geht von Demons über This Is The Last Time und Graceless, was sogar zu seiner Zeit gerne auf Indie-Parties lief, bis hin zu I Need My Girl. Ein wirklich sehr gutes Album. Von vorne bis hinten.
Portgual, The Man – Evil Friends (2013)
Das Album stammt noch aus einer Zeit, als die Band als Geheimtipp galt, also lange vor Feel It Still. Und ich finde, bei wenig anderen Bands ist der Satz so angebracht wie Portugal, The Man: Vor ihrem großen Durchbruch waren sie besser. Evil Friends war dabei der Höhepunkt ihres Schaffens, ein Album voller eingänger Stücke wie der Titeltrack Evil Friends, aber auch wie Hip Hop Kids, Modern Jesus oder Purple, Yellow, Red And Blue.
Einar Stray Orchestra – Politricks (2014)
Eines der schönsten Alben des letzten Jahrzehnts kam von Einar Stray Orchestra. Mit tiefer Stimme und von vielen Streichern und Keyboardern begleitet ist es Wohlfühl-Pop vom feinsten. Da bildet Pockets Full Of Holes keine Ausnahme: For The Country, Montreal und der Titeltrack Politricks reihen sich gut mit ein.
Hinds – Leave Me Alone (2016)
Lo-Fi Punk aus Spanien! Was die Mädels von Hinds hier machen, ist so unperfekt wie sympathisch. Sie sind keine Virtuosen an ihren Instrumenten, bringen aber etwas mit, was wahrscheinlich viel wichtiger ist: Leidenschaft für ihre Musik. Und so eine Mehr-Stimmigkeit wie bei ihnen hört man heutzutage viel zu selten. Funktioniert besonders gut bei ihrem Debutsong Bamboo, aber auch bei Garden, Chili Town und And I Will Send Your Flowers Back. Wichtig zu erwähnen: Ihr zweites Werk I Don’t Run steht der Qualität in fast nichts nach.
Hurray For The Riff Raff – The Navigator (2017)
Ich kann mich heute noch darüber kaputt ärgern, dass ich diese kleine Band erst zwei Wochen nach ihrem Konzert in München entdeckt habe – und sie selbstredend danach nie mehr hier waren. An mir soll es nicht liegen, The Navigator läuft seitdem bei mir regelmäßig durch und es wird immer besser und besser. Für mich ist es die perfekte Mischung zwischen Indie-Pop und dem Buena Vista Social Club. Obwohl es auf Englisch ist, verströmt es diese entspannte Atmosphäre. Living In The City, Hungry Ghost, The Navigator und Pa’lante würde ich als die Highlights des Albums benennen, dabei hat es einfach gar keine Ausfälle.
Kasabian – For Crying Out Loud (2017)
Was ich bei Frank Turner geschrieben hatte, passt auch gut zu Kasabian. Auch sie schätze ich normalerweise eher wegen ihrer Songs als wegen ihrer Alben. Aber wenn es eines geschafft hat, fast durchgängig sehr hörenswert zu bleiben, dann ist es dieses hier. Was dann auch garniert wird mit tollen Hits wie Ill Ray, You’re In Love With A Psycho und Bless This Acid House.
Lea Porcelain – Hymns To The Night (2017)
Das ist etwas, was ich gerne Soundtrack-Musik nenne. Die Songs erzeugen eigene Welten. Wenn sie laufen, hat man gleich einen ganzen Film vor Augen. Dieser hier spielt nachts, wahrscheinlich in der Großstadt. Hymns To The Night heißt das gute Stück und bietet gleich eine breite Auswahl von solchen Songs, angefangen bei Out Is In über Bones bis hin zu Warsaw Street. Und das ist grade mal das erste Drittel des Albums, so etwas wie Remember ist da noch gar nicht gelaufen. Das Album zeigt keinerlei Abnutzungseffekte, ich höre es immer noch so gerne, wie am ersten Tag. Wenn nicht sogar noch lieber.
The Regrettes – Feel Your Feelings Fool! (2017)
Diese jungen Gören! Da denkt man, man braucht von der Jugend nichts mehr in Sachen Rock-Musik zu erwarten, kommen diese Mädels aus Kalifornien um die Ecke und brettern ein Album raus, voll von fast klassischen Rock’n’Roll und Punkrock Stücken. Lacy Loo ist eines davon, andere heißen Juicebox Baby, Hot, Ladylike/What A Bitch oder A Living Human Girl. Spaß machen sie alle. Früh übt sich, Frontfrau Lydia Night war die jüngste Künstlerin, die jemals auf dem Branchentreff SXSW aufgetreten ist.
Middle Kids – Lost Friends (2018)
Noch ein Album, was einfach nicht langweilig werden will. Schön und unspektakulär indiepoppen die Australier vor sich hin, etwas melancholisch, nie fad. Anspieltipps sind das hier eingebettete Edge Of Town, aber auch Mistake, Don’t Be Hiding und das für ihre Verhältnisse fast schon euphorische On My Knees.
Bruce Springsteen – Western Stars (2019)
Je älter ich werde, um so öfter höre ich Bruce Springsteen. Viele meiner Lieblingskünstler verweisen auf ihn (wie Frank Turner oder John Allen) und im vergangenen Jahr war ich sogar auf meiner ersten Bruce Springsteen Party. Es war eine Launch-Party für sein aktuelles Album Western Stars, was gänzlich ohne großen Hits auskommt, dafür über die komplette Laufzeit eine tiefenentspannte Stimmung ausstrahlt, zu der man auf der Veranda sitzen und über seine Ranch schauen möchte. Anspieltipps sind There Goes My Miracle und Hello Sunshine, aber am Besten sollte man das Album sowieso einfach komplett durchlaufen lassen.
Das waren sie also. 15 Alben aus dem letzten Jahrzehnt. Immerhin eine der Bands kommt dabei aus Deutschland (Lea Porcelain). Die Schweden sind in diesem Jahrzehnt nicht mit dabei (was ist da los?), dafür ist Norwegen (Einar Stray Orchestra) vertreten. Auch Spanien (Hinds) und Australien (Middle Kids) haben Alben in meinem Ranking untergebracht. Der Rest verteilt sich fast gleich auf die USA (6mal) und auf Großbritannien (5mal). Die stärksten Jahrgänge waren 2011 und 2017 für mich, Bandmusik schlägt Solokünstler und die Gitarre ist mehr oder weniger immer mit dabei.
Ebenfalls auf meiner Short List – aber knapp an den Top 15 vorbei geschrammt – waren die Alben Beady Eye – BE (2013), The Menzingers – Rented World (2014), Wanda – Amore (2014), Wolf Alice – My Love Is So Cool (2015) und The Struts – Young & Dangerous (2019).
Weiter geht es mit der Reihe demnach in 10 Jahren, macht euch also schon Mal einen Post-It!
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Siehe auch: 15 Alben der 1990er Jahre // 10 Alben der 2000er Jahre // 15 Alben der 2010er Jahre
7 Kommentare
Sarah
Tolle Musik!
Liebe Grüße
Sarah
Nummer Neun
Vielen Dank 🙂
Nicole
Ich sehe schon, wir haben einen komplett unterschiedlichen Musikgeschmack ich kenne nur Mumford & Sons von der Liste, von denen höre ich immer mal wieder die bekannteren Sachen, bin aber jetzt nicht so ein riesiger Fan, dass ich da jedes Album kenne :D. Trotzdem eine interessante Fragestellung, die zum nachdenken einlädt. Btw: Schönes neues Layout, ist mir natürlich sofort aufgefallen, dass dein Blog im neuen Look erstrahlt.
Dankeschön für dein liebes Kommentar.
Ich sehe das auch eher realistisch und schließe mich deiner Meinung an. Ich denke wir werden über ein paar Dinge noch etwas diskutieren, bis es sich dann im Sande verläuft und vergessen wird. So läuft das ja leider immer.
Nicole
Nee ich fand „Hereditary“ echt grauenvoll. Der hatte zwar ein paar intensive Momente, die ich auch gut geschauspielert fand, aber die Auflösung hat in meinen Augen alles zu Nichte gemacht. Fand die einfach nur dämlich und hatte danach gar keine Lust mehr über die ganzen Meta-Ebenen nachzudenken. Vielleicht gefällt mir ja „Midsommar“ besser, der soll wohl auch etwas mehr mainstreamig sein :D.
Nummer Neun
Zum Glück sind die Geschmäcker bei Musik ziemlich unterschiedlich 😀 Kommt ja dann neben den persönlichen Vorlieben auch noch sehr darauf an, was man mit besonderen Liedern verbindet. Deshalb hatte ich diese Fragestelltung auch als Einleitung genommen, um das Ranking etwas persönlicher gestalten zu können, weil ich mir nicht anmaßen wollte zu sagen, das hier waren die 15 besten Alben.
Und danke auch für dein Kompliment 🙂
Ines
The National sind auch in meiner Liste vertreten 🙂
Nummer Neun
Auf The National können wir uns halt immer einigen 😉